Bedeutung von Freizeitanlagen als Bildungseinrichtungen

Viele Freizeitanlagen verfolgen den Anspruch, neben Unterhaltungszwecken auch Wissen zu vermitteln. Mit ihrer (Teil-) Funktion als außerschulische Lernorte sind sie Bestandteil der Bildungskette. In diesem Beitrag wollen wir der Frage nachgehen, welche Bedeutung Freizeitanlagen als Lern- und Bildungsort beizumessen ist. Den Fokus richten wir hierbei auf sogenannte MINT-Bildungsangebote (MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), die vor dem Hintergrund eines offensichtlichen Fachkräftemangels in diesen Disziplinen von gehobenem gesellschaftspolitischem Interesse sind.

Der Freizeitanlagentypus, der wie kein anderer für die Vermittlung von technischen und naturwissenschaftlichen Inhalten steht, ist das Science Center. Dort werden Phänomene aus dem weiten Feld der korrespondierenden Disziplinen wie Physik, Chemie, Mathematik etc. in Form von interaktiven Experimentierstationen präsentiert. Der Gast soll bewusst selbst aktiv werden und durch Aha-Effekte erlebnisreich und somit nachhaltig lernen.

Mit ihrem Themenfokus und didaktischen Ansatz wollen derartige Freizeitanlagen einen aktiven Bildungsbeitrag leisten und damit auch dem Fachkräftemangel begegnen, indem sie Kinder und Jugendliche für diese Themen begeistern. Zweifelsohne leisten Science Center und vergleichbare Einrichtungen als außerschulische Lernorte einen wertvollen Beitrag, indem sie zum Teil komplexe wissenschaftliche Themen und Sachverhalte spielerisch und erlebnisreich präsentieren. Zu den Kernzielgruppen zählen daher Schulklassen, die einen Anteil von 25 % und mehr am gesamten Gästeaufkommen haben. Weitere Kinder und Jugendliche kommen im Familienverbund, der eine weitere Kernzielgruppe markiert.

Aufgrund fehlender Langzeitstudien ist heute jedoch kaum bekannt, inwieweit Science Center & Co. tatsächlich nachhaltige Effekte auslösen, um beispielsweise dem Fachkräftemangel in den MINT-Berufsfeldern messbar zu begegnen. In diesem Kontext muss auch hinterfragt werden, ob bildungsorientierte Freizeitanlagen bei singulärer Betrachtung überhaupt messbare nachhaltige Effekte auslösen können. Es stellt sich die Frage, ob der Besuch von Kindern und Jugendlichen in einem Science Center erkennbar die Nachfrage nach technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen und Berufsfeldern fördert.

Aus Sicht von fwi hamburg kann konstatiert werden, dass Science Center und andere Freizeitanlagen eine Bedeutung als Bestandteil der Bildungskette beizumessen ist. Titulierungen wie Außerschulischer Lernort oder Edutainment-Anlage (Edutainment ist eine Wortkreation aus Edukation und Entertainment und steht für unterhaltsame Wissensvermittlung) bringen deutlich zum Ausdruck, dass es sich um eine andere Form der Wissensvermittlung handelt, als an den klassischen Lernorten. Somit ergänzen sie die Bildungskette um eine selbstbestimmte und spielerische Lernform, sind aber gleichzeitig nur ein kleiner Teil dieser Bildungskette. Defizite in der MINT-Bildung allgemein, wie beispielsweise strukturelle Defizite bezogen auf die Bildungsangebote insgesamt und deren Zusammenwirken, lösen sie nicht. Eine effektive Förderung der MINT-Bildung kann nur durch enge Vernetzung und Zusammenwirken innerhalb der gesamten Bildungskette gelingen. Nachhaltigkeit kann nur Erreicht werden, wenn Kinder und Jugendliche kontinuierlich mit MINT-Themen konfrontiert werden.

Der gesellschaftspolitische Diskurs zum Thema Fachkräftemangel ist in vollem Gange. In diesem Kontext werden Lösungsansätze diskutiert, zu denen die Stärkung des außerschulischen Bildungsangebotes (z.B. in Form von Science Center) zählt. Weitreichender Konsens herrscht in der folgenden Beschreibung der Ausgangssituation:

  • Der Fachkräftemangel ist ein reales Problem, das die Entwicklung des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandortes Deutschland bedroht bzw. zumindest in seiner zukünftigen Entwicklung – bezogen auf Innovationen, Wachstum und Wohlstand – beeinflusst oder hemmt.
  • Die Gründe für den zunehmenden Fachkräftemängel sind erkannt (wie u.a. steigender Bedarf in einer stark technisierten Gesellschaft und Umwelt, demografischer Wandel oder sinkendes Interesse des Nachwuchses an den MINT-Themen).
  • Ebenso erkannt ist die Tatsache, dass mit den bestehenden Instrumenten dem Fachkräftemangen nicht ausreichend begegnet werden kann. Die Bildungskette weist Mängel in der Förderung der MINT-Berufe auf. Als Problemfelder sind u.a. zu nennen: fehlende Frühförderung im Vorschul- und Grundschulalter und mangelnde Vernetzung zwischen den schulischen und außerschulischen Lernangeboten.
  • Defizite bei den Bildungsinstitutionen und in der Bildungskette (z.B. qualifizierte Lehrer mit Vorbildfunktion für MINT-Themen, mangelhafte Ausstattung der Schulen, falscher didaktischer Ansatz) sowie insgesamt ein Mangel an technischer-naturwissenschaftlicher Bildungskontinuität (Stichwort Techniksozialisation) sind als weitere Hemmnisse erkannt.

Um diesen Defiziten zu begegnen, ist derzeit eine rege Diskussion über die effektive und effiziente MINT-Förderung bundesweit im Gange. Die Erfolgsmessung steht noch am Anfang, da es an einem konsequenten und langfristigen Monitoring fehlt. Der aktuelle Diskussionsstand bildet eine grundlegende Rahmenbedingung für die Konzeption neuer außerschulischer Lernorte. Ziel muss es sein, zukunftsweisende Einrichtungen zu etablieren, die den Anforderungen an eine wirkungsvolle MINT-Förderung in hohem Maße gerecht werden.

fwi hamburg beschäftigt sich mit Ansätzen zur Weiterentwicklung des didaktischen Konzeptes von außerschulischen Lernorten. Die nachfolgenden Ausführungen beschreiben unsere Herangehensweise.

Die Ansätze für eine Weiterentwicklung didaktischer Konzepte folgen den Prinzipien klassischer Science Center. Zunächst wird wie beim Science Center-Konzept ein phänomenologischer Zugang zu Themen erzeugt (Grundinteresse wecken), um im Anschluss durch eigenständiges Experimentieren eine Fragestellung zu beantworten (Prinzip „hands-on“, Interaktion durch den Gast). In der Praxis endet das didaktische Konzept oftmals bereits an dieser Stelle. Die Weiterentwicklung dieses Ansatzes zielt auf das Aufzeigen einer Sinnhaftigkeit der gezeigten Phänomene, indem beispielweise konkrete Bezüge zum Alltag hergestellt werden. Ist das Interesse gefestigt (in Form eines weiterführenden, nachhaltigen Eigeninteresses = intrinsische Motivation), erfolgt ein Verweis auf Vertiefungsangebote (z.B. in Form von Apps, themenbezogenen Veranstaltungen oder Praktika bei Unternehmen). Der neue Typus einer wissenschaftlichen Freizeitanlage muss eine Vielzahl dieser Vertiefungsangebote vorweisen. So könnten permanent Gruppenprogramme angeboten werden (Workshops unter Anleitung), Vorträge und Vorführungen stattfinden (z.B. verrücktes Chemielabor), ein Fachdialog durch Tagungen und Veranstaltungen erfolgen, Camps und andere Events veranstaltet werden, Praktikumsplätze vermittelt werden etc. Wichtig ist hierbei, dass die Vertiefungsangebote nicht nur für organisierte Gruppen sondern auch in hohem Maße für Individualgäste zur Verfügung stehen. Es muss konstatiert werden, dass ein derartiges Konzept einer intensiven Betreuung durch Personal (darunter auch Praktiker) bedarf, was im Zuge der betriebswirtschaftlichen Beleuchtung zu beachten ist.

Diese Didaktik ist nicht neu, sie wurde bisher nur kaum konsequent umgesetzt. Das nachfolgende Stufenmodells fasst den Ansatz zusammen:

  • Stufe I: Phänomenologischer Zugang – Neugier und Anfangs-/Grundinteresse wecken
  • Stufe II: Phänomen durch Interaktion und eigenständiges Experimentieren verstehen
  • Stufe III: Sinnhaftigkeit des Phänomens durch Bezüge zum Alltag (intrinsische Motivation)
  • Stufe IV:  Kontinuierliche Techniksozialisation – weiterführende Vertiefungsangebote

Klassische Science Center enden meist bei Stufe II. Der Ansatz von fwi hamburg erweitert den bestehenden Ansatz um zwei Folgestufen, die einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der Effektivität und Effizienz der MINT-Förderung leisten sollen. Ein nachhaltiger Effekt kann nur erzielt werden, wenn bei der Zielgruppe eine Eigenmotivation ausgelöst wird (intrinsische Motivation). Dies muss selbstverständlich durch kontinuierliche Techniksozialisation in der gesamten Bildungskette erfolgen. Freizeitanlagen mit Funktion als außerschulische MINT-Lernorte können hierzu einen Beitrag leisten.

fwi hamburg | Andreas Konrath

  • Veröffentlicht in: Blog

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